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Die Automobilbranche rüstet um auf Elektromobilität – unter anderem durch den Druck der Politik. Doch teilen auch die Kunden die Begeisterung für E-Autos? Eine Allensbach-Umfrage lässt am Elektro-Enthusiasmus der Niedersachsen zweifeln.
Ford und Volvo wollen ab 2030 nur noch Elektroautos bauen. Bei Daimler sollen rein elektrische Fahrzeuge im gleichen Jahr mehr als die Hälfte des Absatzes ausmachen. Und VW sagt Tesla den Kampf an und will bis 2030 nicht nur die Produktion auf komplett CO₂-freie Autos umstellen, sondern auch in eigenen Fabriken die passenden Batterien produzieren. Die Automobilbranche steht unter Strom – im doppelten Wortsinn. Doch was sagt eigentlich der Kunde dazu?
Für eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Drei-Quellen-Mediengruppe hat das Institut für Demoskopie Allensbach von Oktober 2020 bis März 2021 in drei Durchgängen jeweils mehr als 1.300 Niedersachsen befragt. Das Ergebnis zeigt, dass die Bürger den E-Auto-Enthusiasmus von Politik und Autobauern nicht unbedingt teilen. Im Gegenteil, immer mehr hinterfragen sogar die ökologische Sinnhaftigkeit der vermeintlich klimafreundlichsten Antriebstechnologie.
der Befragten halten das Auto für unerlässlich
Für 80 Prozent der Niedersachsen ist das Auto unersetzlich
„Die Liebe zum eigenen Auto ist bei den Niedersachsen ungebrochen, der Personenwagen dominiert die Mobilität“, fasst Dr. Volker Schmidt, Geschäftsführer der Drei-Quellen-Mediengruppe, zusammen. Oft resultiert diese Liebe aber auch aus der Notwendigkeit heraus. „Zwei Drittel der Niedersachsen wohnen außerhalb der Ballungsräume, dies schlägt unmittelbar auf die Nutzung der einzelnen Verkehrsträger durch.“ Denn im Flächenland Niedersachsen sind der öffentliche Nahverkehr sowie Angebote wie Carsharing häufig nur in den Ballungsräumen echte Alternativen. Auf dem Land bleibt nur das eigene Auto, um ohne große Umwege und Zeitverzögerungen von A nach B zu kommen.
Potenziale für E-Mobilität
„Käme es für Sie in Frage, in den nächsten Jahren ein Elektroauto zu kaufen?“
Basis: Niedersachsen, Bevölkerung ab 18 Jahre
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 6162
Der Umfrage zufolge fahren daher auch vier von fünf Niedersachsen häufig mit dem Auto, die meisten täglich oder sogar mehrmals am Tag. Für 80 Prozent ist das Auto unerlässlich. Nur zwei von fünf Befragten fahren mindestens einmal in der Woche mit dem Fahrrad, und den öffentlichen Nahverkehr nutzt nur jeder Zehnte regelmäßig. Demensprechend hoch sind auch die Anforderungen an die Verlässlichkeit des eigenen Autos.
Reichweite zu gering und kaum Ladesäulen in Sicht
Und daran hapere es nach Meinung der meisten Befragten derzeit noch bei den Elektrofahrzeugen. Die Maximalreichweite von wenigen Hundert Kilometern pro Ladung wird nach wie vor als zu gering eingestuft. „Schaffe ich den Hin- und Rückweg auch noch, wenn unterwegs Stau ist und ich einen kilometerlangen Umweg fahren muss?“ – Fragen wie diese möchten sich 61 Prozent der Befragten nicht stellen müssen.
Die Kritik an der Reichweite verlöre möglicherweise an Schärfe, wenn denn wenigstens die Lade-Infrastruktur verlässlich ausgebaut wäre, sodass man im Bedarfsfall immer eine Ladesäule in Reichweite hätte. Doch auch hier gibt es nach wie vor riesige Lücken in der Versorgung. Ebenfalls 61 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass es nach wie vor viel zu wenig Stromtankstellen gibt. Zudem sagen 47 Prozent, dass das Aufladen des E-Autos zu lange dauere.
Vorbehalte gegenüber E-Autos
„Was spricht derzeit dagegen, sich ein Elektroauto zu kaufen?“
Basis: Niedersachsen, Bevölkerung ab 18 Jahre
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 6162
Zahl der Kritiker an der Umweltfreundlichkeit wächst
55 Prozent der Niedersachsen äußern darüber hinaus inzwischen Zweifel, ob Elektroautos wirklich so umweltfreundlich sind wie vielfach behauptet. Dieser Vorbehalt tauchte bundesweit vor drei Jahren in den Umfragen noch nicht auf, er wird mittlerweile von deutlich mehr als der Hälfte der Bundesbürger genannt. Auch in Niedersachsen wird dieser Vorbehalt immer öfter geäußert. Zweifelten im Dezember 2020 49 Prozent der Niedersachsen an der Umweltfreundlichkeit elektrisch betriebener Fahrzeuge, sind es drei Monate später bereits 57 Prozent.
Für mehr als die Hälfte der Befragten kommt deshalb der Kauf eines Elektroautos bisher nicht infrage. 29 Prozent könnten sich den Umstieg auf ein rein elektrisches Auto zwar grundsätzlich vorstellen, nur ein Drittel davon aber frühestens im Laufe der nächsten Jahre. Die größte Gruppe der Befürworter für Elektroautos findet sich bei den unter 30-Jährigen, hier können sich 37 Prozent vorstellen, auf einen rein elektrischen Antrieb umzusteigen. Bei den über 60-Jährigen ist es dagegen nur jeder Fünfte. Das ist in doppelter Hinsicht nicht förderlich für den Absatz von Elektroautos. Denn die zahlungskräftigen Jahrgänge, die sich einen Neuwagen leisten würden, haben nur wenig Interesse daran. Für die Jüngeren allerdings kommt fast nur ein gebrauchtes Auto infrage. „Diese Schieflage wirkt naheliegenderweise auf die Größe des Marktpotentials zurück“, sagt Schmidt.
Mobilitätsmuster
„Wie häufig nutzen Sie folgende Verkehrsmittel?“
Basis: Niedersachsen, Bevölkerung ab 18 Jahre
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 6162
Technologieoffenheit statt Fokus auf E-Mobilität
Die Umstellungspläne der Autobauer und die Vorstellungen der niedersächsischen Kundschaft sind also nur bedingt kompatibel. Doch wie bewerten die Bürger den Einsatz der Politik für die Elektromobilität, die ein zentraler Grund für die tiefgreifenden Veränderungen in der Branche sind? Nur 22 Prozent der Befragten unterstützen die Politik der Bundesregierung, E-Mobilität durch staatliche Kaufanreize gezielt zu fördern. 47 Prozent dagegen meinen, es solle lediglich Vorgaben für Umweltfreundlichkeit geben. Dieser Auffassung sind mehrheitlich die Anhänger von Union und SPD. Aber sogar 42 Prozent der Grünen-Anhänger bewerten technologieoffene Vorgaben sinnvoller als die einseitige Fokussierung auf E-Mobilität.
[ISABEL CHRISTIAN]