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Reisen, arbeiten, leben: Es gibt große Unterschiede zwischen Deutschlands Landeshauptstädten, was ihre Attraktivität bei Einheimischen und Touristen anbelangt. Hannover hat nun ein katastrophales Zeugnis erhalten.
Berlin sei „arm, aber sexy“, beschrieb Berlins früherer Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit einst seine Stadt. Hannover ist nicht arm – aber leider auch überhaupt nicht sexy. In einer repräsentativen Umfrage, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Drei Quellen Mediengruppe (3QM) jüngst unter mehr als 1.500 Bundesbürgern durchgeführt hat, erreichte Hannover im Landeshauptstadt-Ranking gerade so den vorletzten Platz, noch hinter Mainz, Erfurt und Magdeburg. Nicht einmal jeder zehnte Befragte fand, ein Besuch in Niedersachsens Hauptstadt lohne sich. Erfurt dagegen ist jedem Vierten eine Reise wert, Mainz und Wiesbaden jedem Sechsten. Noch unattraktiver als Hannover wird nur Saarbrücken gesehen. „Das ist ein verheerender Wert“, sagt Dr. Volker Schmidt, Geschäftsführer von 3QM. „Es zeigt, dass Hannover als Stadt der Weltausstellung 2000 ihre Chancen nicht genutzt hat.“
Schlusslichter beim Städteranking: Hannover und Saarbrücken
„Hier sind die Hauptstädte der verschiedenen deutschen Bundesländer aufgelistet. Welche davon sind in Ihren Augen besonders attraktive Städte, die einen Besuch lohnen?“
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
SCHLECHTES IMAGE EIN PROBLEM BEI GEWINNUNG VON FACHKRÄFTEN
Auch die Ergebnisse aus der Befragung von Niedersachsen und Hannoveranern geben nicht gerade ein gutes Bild ab. Nur 38 Prozent der Niedersachsen sehen in ihrer Landeshauptstadt eine attraktive Stadt. Und bei denen, die in der Landeshauptstadt leben oder sie häufig besuchen, kann die Stadt nur jeden Zweiten überzeugen. „Damit bleibt Hannover extrem hinter den Werten zurück, die andere Landeshauptstädte erzielen“, sagt Schmidt. Das sei vor allem im Hinblick auf den Wettbewerb um Fachkräfte und Zukunftstechnologienfolgenschwer: „Schon jetzt haben Firmen große Probleme, gute Fachkräfte nach Hannover zu locken. Durch den sich weiter zuspitzenden Fachkräftemangel wird das in Zukunft mit diesem Image der Stadt nochmal deutlich schwerer werden.“
Aktuell wird Hannover von der Mehrheit der Befragten als starke Wirtschaftsregion wahrgenommen (Niedersachsen: 59 Prozent/Hannoveraner: 68 Prozent), auch die Einkaufsmöglichkeiten überzeugen die Meisten (Niedersachsen: 73 Prozent/Hannoveraner: 81 Prozent).
„Das sind allerdings auch Eigenschaften, die man von einer Landeshauptstadt erwarten kann“, sagt Schmidt. Jedoch sind auch diese Werte nicht in Stein gemeißelt. Denn gelingt es Unternehmen kaum mehr, Fachkräfte in die Region zu locken, verliert der Standort an Attraktivität. Die Folge: Firmen gehen weg oder siedeln sich erst gar nicht an. „Dann würde Hannover bei Fachkräften und Zukunftstechnologien ein Problem erwachsen“, prognostiziert Schmidt.
Internationaler Glanz ist vergangen
Auch wenn Hannover zumindest noch für einen Besuch lohnt, Vorbildcharakter nimmt die Stadt aus Sicht der meisten Befragten nicht ein. Lediglich jeder vierte Niedersachse sieht in seiner Landeshauptstadt ein Vorbild, selbst bei den Hannoveranern sind nur zwei von fünf Befragten dieser Ansicht. „Hannover hat keine Leitfunktion mehr und offenbar kaum wahrnehmbare USPs“, sagt Schmidt. „Obwohl die Stadt aus einer guten Ausgangssituation kommt, ist es nicht gelungen, den Schwung zu halten und auszubauen.“ Bis heute gilt die Expo 2000 als besucherstärkste Veranstaltung, die es in Deutschland je gab. Millionen aus der ganzen Welt fanden den Weg nach Hannover. Zuvor war Hannover vier Jahre lang Austragungsort der ATP-Weltmeisterschaft, des wichtigsten Herren-Tennisturniers der Welt. Und bei der CeBIT trafen sich über viele Jahre alle, die Rang und Namen in der Computer- und Technikbranche hatten. „Zu dieser Zeit blickte die Welt nach Hannover“, sagt Schmidt. Heute gibt es nur noch wenige Großveranstaltungen von Rang, die den Blick auch von außerhalb Deutschlands für einige Tage auf Hannover richten, wie die IdeenExpo mit 400.000 Besuchern, die Industriemesse und die Agritechnica.
Stattdessen mache die Stadt seit Jahren vor allem mit Negativ-Schlagzeilen von sich reden. So etwa durch das unrühmliche Ende der CeBIT 2018 oder die Affäre um den früheren Oberbürgermeister Stefan Schostok, die bundesweit für Aufsehen sorgte und Stadtpolitik und Ermittlungsbehörden bis heute beschäftigt. „Und zuletzt hat Hannover vor allem mit Straßensperrungen und nicht genutzten ,Experimentierräumen‘ von sich reden gemacht“, kritisiert Schmidt. „Die Verantwortlichen in der Stadt müssen sich bei ihrem Treiben auch Gedanken um ihre Verantwortung für das Image der Stadt machen.“ Denn die Verantwortlichkeit für eine Landesmetropole ende nicht an der Stadtgrenze. Auch eine Landeshauptstadt müsse sich stets auch ihrer Leitfunktion für das gesamte Bundesland bewusst sein.
Das Image von Hannover
„Zu Hannover kann einem ja alles Mögliche einfallen. Ich möchte Ihnen jetzt einigesvorlesen, was einem in den Sinn kommen könnte, und Sie sagen mir bitte immer,
ob Sie bei Hannover daran denken oder eher nicht.“
Basis: Niedersachsen, Bevölkerung ab 18 Jahre
Hannover ist nicht verkehrsfreundlich
Dabei ist gerade das Thema Verkehr der wunde Punkt, nicht nur bei den Hannoveranern, wie die Allensbach-Umfrage zeigt. Eine große Mehrheit der befragten Hannoveraner hält ihre Stadt für verkehrsunfreundlich (59 Prozent), bei den übrigen Niedersachsen sagen dies sogar drei von vier Befragten. Wenn man bedenkt, dass die hannoversche Verkehrsplanung noch vor wenigen Jahrzehnten als „Wunder“ und beispielgebend für den Rest der Republik vom Wochenmagazin „Spiegel“ ausgezeichnet wurde, ist diese Entwicklung geradezu ein Armutszeugnis.
Zudem ist die Unzufriedenheit mit der Stadtverwaltung besorgniserregend. Nicht einmal vier von zehn Hannoveranern stellen ihr ein akzeptables Zeugnis aus. Hinzu kommt: Nur gerade einmal jeder Vierte attestiert seiner Landeshauptstadt, sie hätte sich in den vergangenen Jahren zum Positiven entwickelt, die große Mehrheit kann keine Veränderung feststellen. „Ein so weit verbreiteter Eindruck von Stillstand ist fatal für eine Landeshauptstadt, die den Anspruch erhebt, Metropole zu sein. Dann kann man auch gleich auf die Ortsschilder schreiben: ,Hannover – bitte nicht stören!‘“, stellt Schmidt ironisch fest.
„Ein positives Image durch politische Skandale, Agonie und Selbstfixierung zu ruinieren, ist in kurzer Zeit möglich. Da hilft die beste Image-Kampagne nichts“, sagt Schmidt. „Ein ramponiertes Image aufzupolieren, das kann mitunter ein Jahrzent und länger dauern.“ Deshalb müsse man sich erst einmal fragen: Wo sind Hannovers Highlights, wo sind die USPs, die man in den Mittelpunkt rücken muss? „Es wartet viel Arbeit auf den neuen Regionspräsidenten“, sagt Schmidt. Er und die gesamte Verwaltung stünden einer Herkulesaufgabe gegenüber. Jetzt komme es mehr denn je darauf an, den Blick über Hannovers Stadtgrenzen hinaus zu wagen und sich von anderen inspirieren zu lassen. Zum Beispiel von Hamburg, München oder Dresden. Die drei Städte werden von bis zu 80 Prozent der Bundesbürger als besonders attraktiv und lohnenswert für einen Besuch wahrgenommen. Hannover von gerade einmal neun Prozent.
[ISABEL CHRISTIAN]