Interview

Frieden ist für Putin überhaupt kein Ziel

Seine beiden Bücher „Zeitenwende“ und „Welt im Umbruch“ sind Bestseller, er selbst gern gesehener Gast in den Medien, wenn es um Russlands Krieg in der Ukraine geht: Rüdiger von Fritsch, Diplomat im Ruhestand. Fünf Jahre, von März 2014 bis Juni 2019, war er Botschafter Deutschlands in Moskau und hat in dieser Zeit den Machtapparat von Russlands Präsident Wladimir Putin so gut kennen­gelernt wie wenige Deutsche. Bei einer Veranstaltung unserer Verbändegemeinschaft hat Freiherr von Fritsch über das Russland gesprochen, mit dem wir es aktuell zu tun haben – und über das, mit dem wir es in Zukunft zu tun bekommen können.

Rüdiger von Fritsch, Diplomat im Ruhestand.

Russland, das auch bislang schon kein Rechtsstaat war, ist ‚un-­investierbar‘ geworden. Das sollte künftige Überlegungen leiten.

Foto: Nikita Markov

Herr von Fritsch, während in der Ukraine offen gekämpft wird, muss sich Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder in Machtkämpfen im eigenen Land behaupten. Der in jüngster Zeit wohl kritischste Moment seiner Herrschaft dürfte sich im vergangenen Herbst zugetragen haben, als der damalige Chef der Söldner-Gruppe Wagner seine Paramilitärs dazu aufrief, in Richtung Moskau zu marschieren, um die Regierung zu stürzen. Diese Konfrontation endete zugunsten Putins, Prigoschin kam kurze Zeit später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Was verraten solche Ereignisse über Putins Machtapparat?

Sein Krieg macht es für Wladimir Putin offensichtlich schwerer, die komplexe Balance der ganz auf seine Person zugeschnittenen Herrschaft in Russland zu halten. Weil dieser Krieg so schlecht für ihn läuft, kämpft er in der Ukraine eben auch um seine Macht zu Hause.

Durch Prigoschins Tod und dem anderer, unliebsamer Personen ist es aber für Putin nicht unbedingt einfacher geworden. Woraus könnte für den Kreml-Chef nun die größte Gefahr erwachsen?

Er muss zunehmend Kritik von jenen fürchten, die von seinem System profitieren und um ihre Pfründe und Interessen fürchten, von unzufriedenen Militärs und rechten Nationalisten, auf Sicht aber auch den Unmut einer Bevölkerung, deren Zustimmung er nicht beliebig erkaufen kann.

Keine Rücksicht auf Verluste: Die Folgen des Beschusses eines Wohnhauses in Kiew.

Foto: Getty Images (~UserGI15632523)

Bild aus glücklicheren Tagen: Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, ist vom russischen Angriffskrieg schwer getroffen worden.

Foto: Getty Images (3sbworld)

Wir hören viel über die Umstände, unter denen die Ukraine eines Tages zu einem Friedensschluss mit Russland bereit sein könnte. Doch wann ist aus Ihrer Sicht dieser Punkt für die russische Regierung erreicht?

Frieden ist für Wladimir Putin überhaupt kein Ziel an sich. Darin täuschen sich manche bei uns. Ihm geht es darum, andere zu unterjochen, um Macht und Größe, Stärke und Respekt. Zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen wird er bereit sein, wenn er einerseits den Krieg nicht erfolgreich fortsetzen kann und anderer­seits um seine Macht zu Hause fürchten muss.

Wenn dieser Frieden eines Tages kommt, mit was für einem Russland werden wir es dann zu tun haben?

Allein schon die Stabilität des Landes hängt davon ab, wie der Krieg ausgeht. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu Unruhen kommt oder, wie beim Zerfall der Sowjetunion, erneut zu separatistischen Bestrebungen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir es auch künftig mit einem autoritären, konfrontativ ausgerichteten Russland zu tun haben werden. Deswegen sind wir gut beraten, für unsere eigene Sicherheit und die unserer Verbündeten zu sorgen. Doch es gilt auch ein Satz, den Michail Gorbatschow mir einmal gesagt hat: „Nur der Westen glaubt, Russland sei unfähig zur Demokratie.“

Foto: Volker Hielscher

Rüdiger von Fritsch, Diplomat im Ruhestand.

Es ist nicht auszuschließen, dass wir es auch künftig mit einem autoritären, konfrontativ ausgerichteten Russland zu tun haben werden.

Viele Unternehmen haben sich aus Protest gegen den Krieg aus Russland zurückgezogen. Andere sind geblieben. Häufig, um eine Enteignung zu verhindern, weil ein Rückzug sehr teuer ist oder weil sie schlicht auf den Standort Russland angewiesen sind. Was ist aus ihrer Sicht die nachhaltigere Strategie, sowohl ökonomisch als auch moralisch?

Moralisch ist die Antwort ganz klar, wenn wir uns den Werten unserer freiheitlichen Ordnung und der Sicherheit unserer Länder verpflichtet sehen. Angesichts der schwierigen Interes­senlage mancher Unternehmen ist es zugleich nicht einfach, auf diese Frage eine schwarz-weiße Antwort zu geben. Sich ganz oder überwiegend auf den russischen Markt auszurichten, war allerdings spätestens 2014 schon keine gute Option mehr. Nun hat Wladimir Putin auch den letzten Rest des wichtigsten Kapitals verspielt, das Grundlage jeder Wirtschaftsbeziehung ist: Vertrauen. Russland, das auch bislang schon kein Rechtsstaat war, ist ‚un-­investierbar‘ geworden. Das sollte künftige Überlegungen leiten.

Im Austausch: Bei einer Veranstaltung im Herbst diskutierte Rüdiger von Fritsch (r.) mit AGV-Hauptgeschäftsführer Dr. Volker Schmidt (2.v.l.), dem Geschäftsführer der Thüringer Arbeitgeberverbände Stephan Fauth (3.v.l.) sowie Unternehmer Hildesheim Geschäftsstellenleiter Werner Fricke.

Foto: Volker Hielscher

Die EU Schnürt immer neue Sanktionspakete, um Russland ökonomisch und fiskalisch zu isolieren. Haben Sie den Eindruck, dass die Sanktionen die gewünschte Wirkung entfalten, sollte die EU noch restriktiver vorgehen oder sind Sie der Auffassung, dass die Sanktionen in erster Linie dem Westen schaden und nicht Russland?

Die erste Frage lautet: Was wäre die Alternative? Selbst militärisch zu reagieren? Nein. Wegzuschauen, Wladimir Putin die Ukraine zu lassen und ihn zu ermutigen, dass sein zerstörerischer Weg internationaler Politik, der Gewalt und der Disruption, funktioniert? Nein. Die Sanktionen zielen auf den richtigen Punkt: Auf die Einnahmen, die die Machthaber brauchen, ihren Krieg zu finanzieren und sich ständig die Zustimmung der Menschen zu kaufen, deren übergroße Mehrheit sich ja eigentlich wie wir den Frieden wünscht und das Regime nicht unterstützt, sondern der es angesichts der allgegenwärtigen Repression allein an der Bereitschaft zum Widerspruch fehlt. Dass die Sanktionen erhebliche Wirkung entfalten, hat Wladimir Putin selbst eingeräumt. Nur eine Zahl: 2023 waren die Staatsschulden zur Jahresmitte bereits wesentlich höher als für das ganze Jahr veranschlagt.

[Interview: Isabel Link]

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