Verbandswelt

Kriegen alles gepackt: Björn Scharnhorst (l.), Inhaber der Exportverpackung Sehnde, und Geschäftsführer Marco Schleitzer.

Foto: Axel Herzig

Langeweile kommt bei ihnen nicht in die Kiste

Wenn die nächste Generation ins Familienunternehmen einsteigt und neue Ideen einbringt, kann es im Betrieb schon mal heftig knirschen. Als Björn und Thorben Scharnhorst jedoch die Exportverpackung Sehnde von ihrem Vater übernahmen, prallten Welten aufeinander. Mit Mut, unerschütterlichem Glauben an ihre Vision und einer kleinen Prise Verrücktheit ist es den beiden gelungen, das Familienunternehmen fit für die Zukunft zu machen.

„Wanderfahrten“ hat der Vater Björn Scharnhorsts Kundenbesuche immer genannt, mit einem spöttischen Beiklang in der Stimme. Die Exportverpackung Sehnde stand für erstklassiges Handwerk, jeder Kunde, der seine Industriegüter in den Holzkisten des Mittelständlers aus der Region Hannover verschickte, wusste das. Warum sollte man also seine und die Zeit des Kunden verschwenden und über individuelle Lösungen philosophieren, wenn es einen Standard gab, der sich über 150 Jahre bewährt hatte?

„Meinem Vater war damals überhaupt nicht klar, dass sich der Kundenbedarf seit der Unternehmensgründung 1858 drastisch verändert hatte“ sagt Björn Scharnhorst. „Der Kunde will nicht mehr bloß Holzkisten, er will Lösungen für seine Logistik.“ Wenn er von damals spricht, dann meint er vor allem 2011. Das Jahr, in dem er und sein Bruder Thorben ihren Vater schlussendlich vor die Wahl gestellt hatten: Du oder wir – aber einer muss jetzt gehen. Die Brüder hatten zu diesem Zeitpunkt drei Jahre im Unternehmen gearbeitet. Hatten versucht zu reformieren, zu verändern, Denkanstöße zu geben. Und waren immer wieder gegen Wände aus Unverständnis und Ablehnung gerannt. „Da hat es mir gereicht. Ich war am Ende, wollte mich nicht weiter am massiven Widerstand meines Vaters und großer Teile der Belegschaft aufreiben, die absolut kein Verständnis für jede Art von Veränderung hatten.“

Gut geplant ist halb verpackt: Mithilfe einer Spezialsoftware errechnen die Mitarbeiter, wie die Güter ihrer Kunden optimal
verpackt werden können.

Foto: Axel Herzig

„Lasst uns das mal ausprobieren“

Zwölf Jahre später sitzt Björn Scharnhorst in einem minimalistisch eingerichteten Besprechungsraum am Hauptstandort der Exportverpackung in Sehnde vor ästhetischen Bildern von einem Containerhafen. Er ist Mitte 40, ein sportlicher Typ mit offenem Lächeln, der Rennrad-Marathon auf Mallorca fährt, um den Kopf freizukriegen. Man spürt, dass er ein Macher ist. Einer von denen, die sagen: „Lasst uns das mal ausprobieren und sehen, wohin wir damit kommen.“ Und der auch dann noch optimistisch ist, wenn andere längst aufgegeben hätten.

Wäre es anders, wäre es ihm und seinem Bruder wohl nicht gelungen, die Exportverpackung Sehnde zu dem zu machen, was sie heute ist: Ein hochmoderner, professioneller Anbieter für Logistik und Verpackung von Industriegütern, mit 155 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an drei Standorten. Im Herbst erst hatte der TV-Sender DMAX in einer Folge seiner Serie „Helden liefern ab“ der Exportverpackung gewidmet und gezeigt, wie die Mitarbeiter eine der derzeit größten Flaschenabfüllananlagen fachmännisch für den Transport vorbereiten. Die Exportverpackung Sehnde ist noch immer ein Name in der Branche. Heute allerdings nicht mehr als Handwerksbetrieb, sondern als Industriedienst­leister. Um dort anzukommen, mussten die Brüder Scharnhorst einen mitunter holprigen Weg zurücklegen. Und so manche unangenehme Erfahrung machen.

Machtkämpfe statt innovativer Ideen

Engagiert und voller Energie: Björn Scharnhorst hat zusammen mit seinem Bruder das Familienunternehmen umgekrempelt.

Foto: Axel Herzig

Nachdem ihr Vater sich 2012 zurückgezogen und seinen Söhnen die Geschäftsführung überlassen hatte, läuteten die beiden einen kompletten Paradigmenwechsel ein. Während der Vater einen weitgehend auto­ritären Führungsstil verfolgt hatte und alle Entscheidungen in letzter Instanz traf, setzten die Brüder ganz auf Kooperation und Laissez-faire. Das kam nicht bei jedem Mitarbeiter gut an. „Es hat Jahre gebraucht, bis die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verinnerlicht hatten, dass sie als Profis in ihren Bereichen agieren und wir als ihre Chefs ihnen vertrauten“, erinnert sich Björn Scharnhorst. „Und es gab nicht wenige, die diese neue Verantwortung nicht übernehmen konnten oder wollten.“

Von ihnen ernteten die neuen Geschäftsführer statt inno­vativer Ideen und kreativen Engagements vielfach Machtkämpfe. „Für viele der alteingesessenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war unser neues Konzept die blanke Hölle“ sagt Björn Scharnhorst. „Und wenn wir betont haben, dass keiner dazu gezwungen wird, im Unternehmen zu bleiben, wenn er unseren neuen Kurs nicht unterstützen will, dann wurde uns sofort vorgeworfen, wir würden mit Rausschmiss drohen.“ Schließlich holten sich die Brüder externe Berater ins Boot, um die verfahrene Situation zu lösen und eine zukunftsfähige Organisationsstruktur aufzubauen. „Einer der Berater sagte, in einem Change-Prozess sei eine Fluktuation von 20 Prozent normal. Bei uns waren am Ende 85 Prozent der Belegschaft neu. Und der Alters­durchschnitt um gut 20 Jahre gesunken.“

„Wir haben alles genommen, was durch die Tür kam“

Alles sicher: Spezielle Schilder an den Kisten weisen nicht nur darauf hin, wie das Gut zu transportieren ist. Sie zeigen auch, wenn diese Anweisungen nicht beachtet wurden.

Foto: Axel Herzig

Das tat der Dynamik und dem Klima im Betrieb gut. Anderer­seits verloren die Brüder auf diese Weise auch viele Wissensträger. Und standen schließlich vor dem Problem, kaum noch erfahrene Arbeitskräfte zu haben. „Wir haben in dieser Phase stark auf Digitalisierung gesetzt und für Routinetätigkeiten soweit möglich Computerprogramme entwickeln lassen“, sagt Björn Scharnhorst. Außerdem warben sie gezielt um junge Köpfe, denn für die war es normal, im Team zu arbeiten und sich auf neue Ideen einzulassen. „Wir haben zeitweise quasi alles genommen, was durch die Tür kam“, sagt Björn Scharnhorst. Allerdings war auch das nicht ohne Risiken. „Die Stimmung war deutlich besser, aber fachlich hat es nicht immer gepasst. Unser wichtigstes Learning in dieser Phase war, dass es gerade für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig ist, Leitplanken zu haben.“ Und diese konnten in den vergangenen Jahren immer klarer herausgearbeitet werden.

Digitalisierung und Outsourcing spielen bis heute eine große Rolle in der Exportverpackung Sehnde. Und sind zwei der Gründe, warum das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zurückgefunden hat. Denn die Brüder Scharnhorst verfolgen nach wie vor die Philosophie, dass die Mitarbeiter kreative Freiräume benötigen, um Ideen entwickeln zu können, die die Firma voranbringen. Alle Routineaufgaben und Tätigkeiten, die zwar erledigt werden müssen, aber nicht unmittelbar zur Wertschöpfung beitragen, werden entweder von Computerprogrammen übernommen oder an externe Dienstleister ausgelagert. So besitzt die Exportverpackung unter anderem weder eine eigene Marketing­abteilung noch eine Buchhaltung. „Gerade mit Aussicht auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel hilft uns dieser Ansatz, um für Nachwuchs attraktiv zu bleiben. Bei uns muss sich niemand mit stupiden Aufgaben langweilen. Wir sind auf Arbeitskräfte angewiesen, die mit uns an individuellen Lösungen für unsere Kunden arbeiten.“ Das Konzept findet Anklang, nicht nur bei Bewerbern. Das deutsche Innovationsinstitut hat die Exportverpackung als „Arbeitgeber der Zukunft“ ausgezeichnet.

Individuelle Lösungen entlang der gesamten Logistikkette

Keine Hochstapelei: Die Exportverpackung Sehnde bereitet Industriegüter jeder Größe für ihren Transport vor.

Foto: Axel Herzig

Ihre eigene Zukunft im Familienunternehmen sehen die Brüder Scharnhorst mittlerweile eher im Hintergrund. Im Sommer 2023 zogen sie sich aus dem operativen Geschäft zurück und übergaben die Geschäftsführung ganz in die Hände ihrer beiden Co-Geschäftsführer Matthias Duensing und Marco Schleitzer. Einer der Gründe für diesen Schritt war, dass Björn Scharnhorst sich einer neuen Herausforderung widmen wollte: Dem Aufbau seiner Firma Nexis Process Management GmbH, die Logistikprozesse analysiert, mithilfe von Algo­rithmen Schwachstellen aufzeigt und Maßnahmen vorschlägt, die dem Kunden helfen, Kosten zu senken.

Auch diese Firma ist Ausdruck des Verständnisses, das bei den Brüdern Scharnhorst vorherrscht: Sie verstehen sich längst nicht mehr als Handwerker, deren Kernkompetenz das Bauen von Transportkisten ist. Vielmehr liegt ihre Profession darin, die vielfältigen Bedürfnisse ihrer Kunden zu erkennen und ihnen individuelle Lösungen anzubieten. Nicht nur für den Versand von Industriegütern, sondern entlang der gesamten Logistikkette. „Im Grunde genommen sind wir Transformationskünstler. Aber das können wir ja schlecht auf unsere Webseite schreiben“, sagt Björn Scharnhorst und lächelt verschmitzt.

[Isabel Link]

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