Was war passiert?
In dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall ging es an sich darum, dass ein Betriebsrat festgestellt haben wollte, dass er ein über eine Einigungsstelle durchsetzbares Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems habe. Dem hat das Bundesarbeitsgericht eine Absage erteilt, in dem es festgestellt hat, dass Arbeitgeber schon aus dem Gesetz (ArbSchG) verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, so dass für ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte gem. § 87 kein Raum bleibt. Somit hat das Bundesarbeitsgericht im Wege eines obiter dictum, also „bei Gelegenheit“ die bisher herrschende Meinung zur Frage der Arbeitszeiterfassung in Deutschland auf den Kopf gestellt. Denn bisher war allgemein anerkannt, dass eine umfassende Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten solange nicht besteht, wie dies nicht durch den Gesetzgeber in das Arbeitszeitgesetz eingeführt wird.
Rechtsfortbildung „contra legem“ oder unionsrechtskonforme Auslegung?
Insoweit wird derzeit heiß diskutiert, ob die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht eine unzulässige Rechtsfortbildung darstellt und insoweit wegen eines Verstoßes gegen Artikel 20 GG rechtswidrig ist. Insoweit wird sich sicherlich auch noch das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung beschäftigen müssen. Davon unabhängig stellt sich aber die Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung konkret für die Arbeitgeber hat.
Konsequenzen der Entscheidung
Danach sind Arbeitgeber nun verpflichtet, eine wie auch immer geartete Zeiterfassung allen Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen und auch dafür zu sorgen, dass diese genutzt wird. Dabei steht es den Arbeitgebern frei, auf welche Weise Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten, sowie die Pausen der Arbeitnehmer dokumentiert werden. Insoweit ist es nach dem Bundesarbeitsgericht auch möglich, dass die Zeiterfassung in die Verantwortung der Arbeitnehmer gelegt wird und es insoweit zu Eigenaufschreibungen der Arbeitnehmer kommt. Auch sind besondere Formen von Arbeitszeitregelungen wie Vertrauensarbeitszeit weiter zulässig! Wichtig ist nur – das betont das Bundesarbeitsgericht ganz deutlich –, dass der Arbeitgeber, wenn er die Zeiterfassung an die Arbeitnehmer delegiert, hier entsprechende Überwachungspflichten hat, das es auch tatsächlich zu der Zeiterfassung kommt.
Es bedarf dringend noch einer korrektur durch den gesetzgeber.
Christoph Putzer, Rechtsanwalt und Leiter der Rechtsberatung von Unternehmer Hildesheim
Da die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten ab sofort und ohne Ausnahmen gemäß dem Arbeitsschutzgesetz besteht, stellt sich die Frage, was bei Arbeitszeiterfassungsverstößen passiert.
Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass ein Verstoß gegen die aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts verpflichtende Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG keine Ordnungswidrigkeit darstellt. Insoweit wäre ein Verstoß gegen die nunmehr bestehende Verpflichtung ein umfassendes Arbeitszeitsystem einzurichten nicht bußgeldbewehrt. Es gibt insoweit auch kein Klagerecht des Betriebsrates, da im Arbeitsschutzgesetz lediglich Individualansprüche der Arbeitnehmer geregelt sind. Diese könnten somit nur individualrechtlich gegen Verstöße vorgehen. Arbeitszeiterfassungsverstöße führen auch zu keiner Beweislastumkehr in Verfahren zu Überstundenvergütungen. Hier hatte das Bundesarbeitsgericht bereits im Mai 2022 festgestellt, dass die Verpflichtung zur Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und der Zurechnung von Überstunden gegenüber dem Arbeitgeber weiterhin durch den Arbeitnehmer erfolgen muss.
Wie geht es nun weiter?
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist insoweit fragwürdig, als jenseits der Regelungen des Arbeitszeitgesetzes gesetzliche Handlungspflichten der Arbeitgeber festgestellt wurden. Insoweit bedarf es eines korrigierenden Eingriffs des Gesetzgebers. Dieser wurde am 18.04.2023 mit einem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf den Weg gebracht. Zur Zeit befindet sich dieser in der Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.
Leider enthält dieser Entwurf keine Flexibilisierungsregelungen bei der Frage der Dokumentation von Arbeitszeiten, sondern grenzt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts noch insoweit ein, dass der Arbeitgeber zukünftig verpflichtet ist, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen.
Von dieser Vorgabe gibt es Abweichungen für Kleinstbetriebe, d.h. solche Betriebe, mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern. Ansonsten gibt es Übergangsfristen von bis zu fünf Jahren, die sich an der Größe der Betriebe orientieren.
Entwurf führt Vertrauensarbeitszeit ad absurdum
Höchst problematisch ist der Umgang mit der Vertrauensarbeitszeit, die nach Auffassung des Entwurfs weiter möglich sein soll. Insoweit wird zwar klargestellt, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeit an den Arbeitnehmer delegieren kann. Er soll auch auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten verzichten können, jedoch hat er sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zur Dauer und zur Lage der Arbeitszeiten und Ruhezeiten bekannt werden. Insoweit wird das Modell der Vertrauensarbeit ad absurdum geführt, denn das Modell lebt ja gerade von dem Vertrauen in den Arbeitnehmer, dass dieser die vereinbarte Arbeitszeit erfüllt. Der Entwurf verhindert daher die Durchführung von Vertrauensarbeitszeit in der bislang praktizierten Weise, da eine umfassende Erfassung der Arbeitszeiten letztlich verlangt wird. Das Instrument der Vertrauensarbeitszeit muss aber als personalpolitisches Instrument zur Erfüllung der Vereinbarung im Koalitionsvertrag erhalten bleiben.
Da sich darüber hinaus auch keinerlei Flexibilisierungsinstrumente im Hinblick auf eine flexiblere Verteilung der Wochenarbeitszeit in dem Entwurf findet, sind wir selbstverständlich bestrebt, in dem Gesetzgebungsverfahren im Rahmen unserer Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.