Hannovers neuer Regionspräsident Steffen Krach ist in einer turbulenten Zeit in sein Amt gestartet. Erst kam die dritte Corona-Welle, dann der Krieg in der Ukraine. Doch langsam erkämpft er sich die Kapazitäten für eigene Herzensprojekte. Unter anderem ein besseres Image für Hannover.
Die Metallstrippen lassen Großes erahnen. Doch noch sind die Wände in Steffen Krachs Büro weitgehend leer. „Eigentlich soll hinter meinem Schreibtisch ein richtig schönes Bild vom Steinhuder Meer hängen“, sagt der Regionspräsident und deutet auf zwei Metallstrippen, die vor der frisch getünchten Wand hängen. „Aber das ist leider noch nicht da.“ Der Geruch nach Farbe, neue Möbel aus hellem Holzfurnier, ein Schrank, der noch darauf wartet, mit Akten gefüllt zu werden – es ist das Büro eines Amtsträgers, der gar nicht richtig ankommen konnte, bevor ihn zwei Krisen mitten ins Geschehen warfen.
Im Oktober 2021 entschied Steffen Krach die Stichwahl für sich, im November zog er als neuer Regionspräsident ins Haus der Region Hannover ein. „Natürlich hatte ich mir einen Plan für die ersten 100 Tage zurechtgelegt. Was ich als Erstes tun und wie ich die Mitarbeiter kennenlernen wollte“, sagt Krach. „Doch schon vor Amtsantritt wurde mir klar, dass daraus wohl in der Detailtiefe nichts werden würde.“ Es war die Zeit der dritten Corona-Welle. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte die große Impf-Offensive an – obwohl die meisten Impfzentren kurz zuvor geschlossen worden waren. Da war sie schon, die erste Bewährungsprobe für den neuen Präsidenten. „Wir haben uns damals entschieden, nicht wieder ein großes Impfzentrum zu eröffnen und stattdessen viele kleine einzurichten. Ich glaube, dass das genau die richtige Strategie war.“ Doch es sei ohne Frage ein Kraftakt gewesen, der viele Kapazitäten gebunden habe.
Anderthalb Monate später muss sich Krach auch schon dem ersten Skandal stellen. Es ist der 3. Januar 2022, der Tag, bevor der Regionspräsident eigentlich mit seiner Familie von Berlin nach Hannover ziehen will. Krach wird darüber unterrichtet, dass es am Zoo eine Impfpanne gegeben habe. Schon abends springt ihn die Schlagzeile an: „Impf-Panne in Hannover!“. Eine Person der Impfteams am Zoo hatte die Ampullen verwechselt und 21 Kindern versehentlich die für Erwachsene vorgesehene Dosis Corona-Impfstoff gespritzt. Für Krach ein Schock-Moment. „Wir haben uns mit einem Impfzentrum in schöner Atmosphäre vorgenommen, vor allem Familien davon zu überzeugen, dass das Impfen ihrer Kinder sinnvoll ist. Und dann passiert sowas.
Das hat mich natürlich schon sehr beschäftigt“, sagt Krach, der selbst drei Kinder hat. Das Ganze ging glimpflich aus, Ärzte versicherten, dass die betroffenen Kinder dadurch keine schwerwiegenden Folgen zu erwarten hätten und die Eltern reagierten sehr besonnen. Doch noch heute hört man Betroffenheit in Krachs Stimme, wenn er über die Angelegenheit spricht.
Im Februar hofft Krach darauf, sich nun endlich etwas freischwimmen zu können. Doch dann überfällt Russlands Machthaber Wladimir Putin die Ukraine und Zehntausende Flüchtlinge – vor allem Frauen und Kinder – strömen nach Deutschland, um hier Schutz zu suchen. Und die Bundesregierung entscheidet, dass Hannover – wie schon 2015/16 – zum Drehkreuz für die Verteilung der Schutzsuchenden werden soll. Die nächste Herausforderung für den Regionspräsidenten. „Zum Glück habe ich hier zwei erfahrene Dezernentinnen und ihre Teams, die genau wissen, wie so etwas organisiert wird. Wir haben gemeinsam ein nationales Drehkreuz am Messebahnhof Laatzen in wenigen Stunden eingerichtet.“ Erst kürzlich war der Präsident des Technischen Hilfswerks vor Ort und lobte die Einrichtung als bundesweites Vorbild. „Das hat uns natürlich schon sehr gefreut.“
Glücklich ist er auch darüber, wie hilfsbereit sich die Hannoveraner den Ukrainern gegenüber verhalten. „Diese Solidarität und der Einsatz, das ist schon faszinierend.“ Dennoch macht er sich keine Illusionen, dass mit den Flüchtlingen auch neue Herausforderungen anstehen. „Wir brauchen mehr Wohnraum, mehr Kitaplätze, mehr Plätze an den Schulen. Das war vorher schon knapp, jetzt wird es eine riesige Herausforderung.“ Doch Krach ist zuversichtlich, dass Hannover das schaffen kann. Schließlich ist es schon einmal gelungen.
Genauso überzeugt ist er, dass Hannover 96 immer noch Aufstiegspotenzial für die erste Liga hat. Vielleicht bringt auch zukünftig ein Bild Glück, das er sich für sein Büro ausgesucht hat. Es soll das Stadion und den Maschsee bei Nacht zeigen. Hängen soll es in seiner Sichtachse an einer Wand in der Sitzecke, nicht prominent im Raum. „Sonst denken noch alle, dass ich ausschließlich Fußballfan bin“, sagt Krach und grinst. Natürlich kennt in seiner Heimatstadt nahezu jeder seine Leidenschaft für Hannover 96. Mit acht Jahren war er das erste Mal im Stadion. Hannover 96 gegen Bayern München. Die Niedersachsen haben die Bayern regelrecht vom Platz gefegt. Da hatte es ihn gepackt. Wenige Jahre später, als Teenager, besiegelte er seine Treue zum Verein mit einer Mitgliedschaft. 96, alte Liebe – bei Krach gilt sie bis heute.
Als Regionspräsident bekommt sie allerdings noch eine andere Bedeutung. „Das ist ein Riesen-Image-Faktor für Hannover“, sagt Krach. Denn es mache einen großen Unterschied in der Außenwirkung einer Stadt, ob zum Heimspiel nun tausende Fans aus Dortmund oder Frankfurt oder fünfzig Fans aus einer Kleinstadt anreisten. „Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, was an einem Erstliga-Club alles dranhängt, sowohl wirtschaftlich als auch für die Außenwahrnehmung einer Stadt.“
Es habe ihn sehr geärgert, dass Hannover im vergangenen Jahr in einer Umfrage der Drei-Quellen-Mediengruppe im Ranking der beliebtesten Landeshauptstädte nur auf dem vorletzten Platz gelandet sei. Doch sein Kampfgeist ist geweckt. „In zwei Jahren will ich, dass wir deutlich weiter oben stehen, und danach kommen die Top Five.“ Krach hat schon konkrete Pläne, wie die Stadt ihr Ansehen bei den Bundesbürgern aufpolieren kann. „Erstens: Selbstbewusst zeigen, was wir haben. Und das ist eine ganze Menge.“ Hannover habe eine lebendige Kunst- und Kulturszene, hervorragende Wissenschaftszentren, tolle Sport- und Freizeitmöglichkeiten. „Alle, die sich länger in Hannover aufhalten und diese Vorzüge kennenlernen, finden die Stadt schön. Doch das erreicht leider nicht die, die nur ein paar Tage in die Stadt kommen.“
Daher müsse man Highlights schaffen, die die Menschen nach Hannover lockten. „Das Maschseefest zum Beispiel holt über eine Millionen Menschen in die Region. Ein dreiwöchiges Fest in dieser großartigen See-Atmosphäre – das ist nicht nur wirtschaftlich ein starker Faktor, sondern auch für das Image der Stadt.“ Veranstaltungen nach diesem Vorbild müsse es viel häufiger geben. Zum Beispiel in Form von Festivals am Steinhuder Meer oder auf der Marienburg, Kongressen auf dem Messegelände, Sportevents und anderen Veranstaltungen, die weit über die Grenzen der Region hinaus attraktiv sind.
Doch die schönsten Eigenschaften einer Stadt nützen nichts, wenn keiner von ihnen erzählt. Deshalb will Krach Regionsbotschafter ernennen. Diese Botschafter sollen ihre Wurzeln in Hannover haben, sich mit der Region identifizieren und in ihrem Alltag dafür werben. „Das können Promis sein, aber auch Menschen, die zum Beispiel in New York arbeiten oder in Hamburg und Berlin.“ Wichtig sei, dass sie die Region Hannover ins Spiel bringen, wenn etwa eine Firma einen neuen Standort sucht oder ein Austragungsort für ein Event gefunden werden soll. Mit dieser Idee hat sich Krach vom Saarland inspirieren lassen. Dort ist unter anderem der frühere Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Botschafter. „Das Konzept muss man also nicht neu erfinden, aber ich bin sicher, dass es gut funktioniert.
Krachs Schreibtisch ist, wie die Wände, noch weitgehend karg. Kein Computer, dafür ein großes Tablet, ein paar Unterlagen und eine Telefonanlage. Das einzig Persönliche sind zwei gerahmte Fotos von seiner Familie. Im letzten Herbst ist er zum dritten Mal Vater geworden, wieder ein kleiner Junge. Man spürt deshalb auch, dass ihm ein gerade angeschobenes Projekt eine besondere Herzensangelegenheit ist. Mit mehreren großen Sportvereinen hat er eine Schwimm-Offensive gestartet. Die Vereine stocken ihr Angebot an Schwimmkursen massiv auf, die Region finanziert den Mehraufwand. „Die Kinder und Jugendlichen haben durch Corona viel verpasst“, sagt Krach. Zum Beispiel könnten deutlich mehr Kinder als sonst nicht schwimmen, da es in den vergangenen zwei Jahren kaum Kurse gab. „Bei meinem ältesten Sohn fielen drei Kurse aus. Als Eltern muss man da richtig hinterher sein, wenn das Kind schwimmen lernen soll.“ Auch viele andere Familien hätten ihm von dieser Erfahrung berichtet. Sein Ziel ist daher, dass möglichst alle Kinder in der Region spätestens zum Ende der Grundschulzeit schwimmen können. „Sie müssen keine Supersportler werden, aber sie sollen so gut schwimmen können, dass niemand ertrinkt. Denn das geht so schnell und lautlos, dass man das als Erwachsener oft erst bemerkt, wenn es zu spät ist.“
Mit Projekten wie diesem gelingt es Steffen Krach langsam, in den Alltag eines Regionspräsidenten überzuwechseln. Und auch sein Büro wandelt sich langsam zu einem Ort, der die Persönlichkeit seines neuen Besitzers widerspiegelt. Seit Ende April ist Steffen Krach als Regionspräsident Schirmherr von 96plus, der Charity-Sparte von Hannover 96. Bei der Ernennung bekam der Amtsträger ein Trikot mit dem eigenen Namen überreicht. Das bekommt jetzt einen besonderen Platz an seiner Wand.
[ISABEL CHRISTIAN]