Am 1. Oktober steigt der Mindestlohn in Deutschland auf 12 Euro pro Stunde. Das ist bereits die dritte Steigerung in diesem Jahr und die zweite in nur drei Monaten. Vor allem Branchen mit hohem Personalbedarf stellt das vor Probleme. Wir haben uns in der AGV umgehört.
Die finale Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde hat die Bundesregierung im Alleingang beschlossen, an der Mindestlohnkommission vorbei und ohne die üblichen Übergangsfristen. Denn es ist ein im Wahlkampf gegebenes Versprechen, dass die Regierung Olaf Scholz nun einlöst.
Dass dieser Vorgang Arbeitgeber vor Herausforderungen stellt, überrascht nicht. Mit scharfen Worten kritisierte BDA-Präsident Rainer Dulger die Entscheidung der Regierung als „eklatanten Eingriff in die Tarifautonomie und einen Vertrauensbruch der Bundesregierung gegenüber uns Sozialpartnern“. Auch auf den Verbraucher kommen zahlreiche Preissteigerungen zu, da viele Unternehmen und Branchen schlicht nicht die Möglichkeit haben, die höheren Kosten durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen. Und das in einer Zeit, in der Inflation und rasant steigende Energiekosten sowieso die Kaufkraft der Gesellschaft schmälern.
Am Wochenende wird es teuer für die Niedersächsische Wach- und Schliessgesellschaft
Besonders deutlich wird das Mindestlohn-Problem in Branchen, die stark auf Personal gegründet sind, wie Andreas Segler, Geschäftsführer der Niedersächsischen Wach- und Schliessgesellschaft Eggeling und Schorling/VSU-Gruppe, erklärt. In seinem Betrieb entfallen mindestens 92 bis 94 Prozent der entstehenden Kosten auf den Personaleinsatz. Bereits bei einer Anpassung des aktuellen – branchenspezifisch tarifvertraglich vereinbarten – Stundengrundlohnes von 10,90 Euro auf 12 Euro für die unterste Lohngruppe ergibt sich eine Steigerung von über 10 Prozent. Aber damit dürfte es noch nicht getan sein, wie Segler sagt: „Ein großer Teil unserer Arbeit findet nachts sowie an Wochenenden statt – da reicht eine Erhöhung auf den Mindestlohn voraussichtlich nicht aus, um Bestandskräfte zu binden und für Bewerber attraktiv zu bleiben“. Es wird wohl eher auf bis zu 12,50 Euro hinauslaufen. Eine Steigerung von annähernd 15 Prozent.
Nur noch Begrenzte Stellschrauben bleiben im Bell‘Arte am Maschsee
Auch in der Gastronomie lässt sich ein vergleichbarer Sekundäreffekt beobachten, wie Christian Stöver, Geschäftsführer vom Bell‘Arte am Maschsee, beschreibt: „Das eigentliche Problem ist ja, dass Sie Fachkräfte mit einem entsprechenden Abstand zum Mindestlohn entlohnen müssen. Dadurch kommen dann enorme Lohnsteigerungen zustande“. Auch in der Gastronomie sind die Stellschrauben, um die Mehrkosten aufzufangen, begrenzt. Die Öffnungszeiten ließen sich verkürzen, die Karte verkleinern – aber damit sind die Möglichkeiten eigentlich schon ausgeschöpft. Eine Preissteigerung für den Kunden ist auch hier die logische Folge.
Die Tina Voß GmbH sieht den Mindestlohn als politischen Spielball
Ob es bei dem Mindestlohn als faktische Lohnuntergrenze bleibt, ist auch für Unternehmen, die in der Personalvermittlung und Zeitarbeit tätig sind, die entscheidende Frage. Auch hier machen die Personalkosten den Löwenanteil der gesamten Betriebskosten aus. Teurer dürfte vor allem das Helfergeschäft werden, prognostiziert Tina Voß, Geschäftsführerin der Personalvermittlung Tina Voß GmbH. Die Lohnanpassungen werden, ähnlich wie in der Objektbewachung, fast eins zu eins an den Kunden weitergeben. Interessant werde es aber vor allem oberhalb der Mindestlohngrenze, wo sich ein Großteil des Geschäfts der Tina Voß GmbH abspielt. Bestehen die Gewerkschaften auf einer Fortsetzung der bislang vereinbarten Lohnstaffelung und des Abstands zwischen Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit und Mindestlohn, wird es auch für Voß teuer. Denn dieser Abstand beträgt entweder 1 Euro oder ist prozentual geregelt. Damit würde die Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit über 13 Euro pro Stunde liegen. „Diese Gespräche stehen allerdings noch aus. Der Mindestlohn ist ein politischer Spielball geworden, der leider ohne Rücksprache mit den entsprechenden fachlich hochkarätigen Kommissionen verabschiedet wurde.“
Die Summe der Krisen und Belastungen wird zum Problem für die Unternehmen
Sind diese Betriebe jetzt also akut gefährdet? Nein, versichert Stöver, zumindest das Bell‘Arte sei es nicht. „Meine Gäste sind nicht notleidend, sie werden die Preissteigerungen sicher tragen“. Für andere Unternehmen in der Branche könnte es aber sehr wohl knapp werden, befürchtet Stöver. Auch Andreas Segler sieht sein Unternehmen nicht in Gefahr. Natürlich, die Preissteigerung müsse fast eins zu eins an den Kunden weitergegeben werden und der ein oder andere werde sein Sicherheitskonzept unter diesen Umständen auch überdenken, vielleicht stärker auf Technik setzen. Aber der Mensch lasse sich beim Objektschutz nun einmal nie ganz ersetzen. Und Voß verneint die Frage ebenfalls. „Es wird sicher passieren, dass Kunden im Helfergeschäft Kosten einsparen werden, aber da unser Business meist oberhalb dieses Mindestlohns spielt, ist das für uns nicht so sehr relevant“.
Gefährlich wird es vor allem dann, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen, wie Stöver am Beispiel der Gastronomie vorrechnet. Die Branche ist nach zwei Jahren Pandemie noch angeschlagen, Rücklagen sind in vielen Betrieben kaum noch vorhanden. Dazu kommen explodierende Energiekosten wegen des Krieges in der Ukraine, die vor allem die Hotellerie stark treffen. Das größte Problem für Gastronomen sei aber ein anderes: „Bei den Lebensmittelpreisen, da sehe ich im Moment noch kein Land in Sicht“, erklärt Stöver. Und schließt eine Forderung an: „Wir brauchen zwingend die Entfristung für die verminderte Mehrwertsteuer auf Speisen.“ Ohne diese werde es für zahlreiche Betriebe wirklich kritisch, der Kunde werde schlicht nicht jede Preissteigerung mittragen. Das romantische Bild vom eigenen Restaurant, das wird im Gespräch mit Stöver jedenfalls klar, ist am Ende. Ohne ausreichendes kaufmännisches Know-How geht es schon lange nicht mehr. Und auf diese Ausgangslage trifft jetzt die mehrfache Steigerung des Mindestlohns, „mit einem prozentualen Aufschlag, den wir in meiner Berufslaufbahn noch nie erlebt haben“.
Dabei wird die Lohnuntergrenze an sich von allen drei Unternehmern keineswegs nur kritisch gesehen. Ganz im Gegenteil, er freue sich für seine Mitarbeiter, betont etwa Stöver. Aber alle drei stellen klar, dass die Steigerung, zumal an allen Fristen und der Mindestlohnkommission vorbei, etwas kurz gedacht ist. „Es geht am Ende gar nicht mehr darum, wer jetzt mehr verdienen soll“, betont Voß. „Sondern darum, eine bestimmte Wählerklientel zu bedienen“. Und selbst dem Arbeitnehmer ist nicht immer geholfen. Aktuell frisst die Inflation die Erhöhung nämlich direkt wieder auf.
[PAUL BERTEN]